«Ein solches Geschenk zu geben oder zu erhalten, ist keine Selbstverständlichkeit»

Für die aktuelle Kampagne von Swisstransplant haben wir uns mit verschiedenen Betroffenen getroffen. Sie sind die Gesichter von «Ich lebe jetzt. Ich entscheide jetzt.» und sie lassen uns an ihrer Geschichte teilhaben. Eine dieser Lebensgeschichten ist die von Robert.

Im Büro von Swisstransplant – gleich um die Ecke vom Bahnhof Bern – sitzt Robert Habegger an einem grossen Holztisch. Etwas unruhig fährt der 55-Jährige mit den Händen durch sein weisses Haar und spielt an der Uhr, die sich mit ihrem orangen Band von seinem hellblauen, kragenlosen Hemd abhebt. Er ist noch etwas ausser Atem: «Eine kurze Pause auf dem Weg vom Bahnhof wäre eine gute Idee gewesen.»

Schnell sind wir mitten im Thema. Wir diskutieren über die Abstimmung zur erweiterten Widerspruchslösung, wie wichtig es ist, dass die Angehörigen über den eigenen Entscheid in Bezug auf die Organspende informiert sind und welche Konsequenzen es hat, dass der Tod in der Schweiz ein Tabuthema ist.

Für Robert ist die Organspende eine Herzensangelegenheit. Er scheint eine Dringlichkeit zu spüren, über seine Geschichte zu sprechen. Auf meine Nachfrage sprudelt sie förmlich aus ihm heraus.

Eine Nierenerkrankung verändert Roberts Leben grundlegend

Mit 28 Jahren erhielt Robert die Diagnose einer genetischen Krankheit, die seine Nierenfunktion beeinträchtigt. Diese Diagnose veränderte sein Leben grundlegend. Innerhalb von nur drei Monaten musste er bereits an die Dialyse. «Ich habe mich damals für eine Bauchfelldialyse entschieden, weil ich Angst vor Nadeln hatte.» Robert blickt auf seine durch zahlreiche Nadeleinstiche vernarbten Unterarme, lacht kurz und ergänzt: «Auch heute noch.»

Robert hat damals 100% gearbeitet und auch während den intensiven medizinischen Behandlungen das Arbeitspensum nicht reduziert. «Ich weiss nicht, wie ich das damals gemacht habe. Irgendwie ist es gegangen. Es musste gehen.» Bei der Erinnerung an diese belastende Zeit, bricht Roberts Stimme kurz weg. Für die Bauchfelldialyse musste er alle sechs Stunden über einen Katheter eine Flüssigkeit auswechseln, die das Bauchfell umspült und so die Giftstoffe aus dem Blut filtert. Er tat dies jeweils im Auto. Im Winter war es manchmal sehr kalt, erinnert sich Robert. Neun Monate vergingen in diesem Sechsstunden-Takt. Zwischenzeitlich wurde bei Roberts jüngerem Bruder die gleiche Erbkrankheit diagnostiziert. Und eine weitere grosse Veränderung stand an: die Geburt seiner Tochter.

Robert erhält eine Nierenlebendspende von seinem Vater

Kurz darauf, vor nun 25 Jahren, teilte ihm sein eigener Vater mit, dass er ihm eine Niere spenden möchte. Für seinen Bruder war eine solche Spende aufgrund nicht kompatibler Blutgruppen unmöglich. Roberts Vater unterzog sich intensiven psychologischen und physischen Abklärungen und erhielt vom medizinischen Fachpersonal die Freigabe für seine Lebendspende.

Die Transplantation verlief für Vater und Sohn erfolgreich. «Meine grösste Angst war nicht die Operation an sich, sondern, dass die Niere nicht funktionieren könnte und so die Spende und all die intensiven Abklärungen meines Vaters vergebens sein würden. Für ihn war das kein Spaziergang.»

Auf die Frage, wie die Lebendspende sein Verhältnis zu seinem Vater geprägt habe, folgt eine lange Stille.

Robert
«Die Lebendspende ist etwas Spezielles. Es hat uns verbunden. Wir haben ein sehr nahes Familienverhältnis. Eine grosse Dankbarkeit ist da, gleichzeitig ist es nicht mehr täglich Thema. Irgendwann muss man nach vorne schauen, sonst macht es einem verrückt.»

Wie wichtig Robert die Beziehung zu seinem Vater ist, spüre ich in jedem seiner Worte.

Heute hat sich ihre Situation gedreht. Nun ist Roberts Vater schwer krank. «Ich hoffe, dass wir noch zusammen Weihnachten verbringen können.» Robert greift zu den Taschentüchern, die zwischen uns auf dem Tisch stehen und lässt seinen tränenschweren Blick lange in der Ferne ruhen. Unsere Gesprächspause erlaubt es mir, mich rasch zu sammeln und meine eigene Ergriffenheit wegzublinzeln. Roberts Offenheit, seine Kraft und gleichzeitige Verletzlichkeit sind beeindruckend. Seine Art abwechslungsweise bedacht und manchmal mit brüchiger Stimme seine Worte zu wählen und dann wieder in einem raschen Fluss einen weiteren Abschnitt seines Lebens zu erzählen, begleiten mich noch Tage später.

«Diese Grippe hat viel kaputt gemacht»

Nach der ersten Nierentransplantation blieb es 20 Jahre ruhig um Roberts Erkrankung.

Robert
«Ich habe gelebt, wie jede andere Person. Ich habe eine Familie gegründet, Karriere gemacht, bin selbstständig geworden, habe Feste gefeiert. Ich bin fair: Ich habe mich nicht immer geschont, aber ich habe meine Medikamente immer genommen und alle Termine für medizinische Nachuntersuchungen eingehalten. Und alles war gut.»

Vor fünf Jahren hat sich das Blatt wieder gewendet. Robert erkrankte an einer Grippe Typ C. Eine seltene Grippe bei Erwachsenen in der Schweiz. «Diese Grippe hat viel kaputt gemacht», erzählt Robert. Die Nierenfunktion nahm aufgrund des Infekts ab und ein Jahr darauf erlitt Robert einen Herzinfarkt. Drei Monate später war Robert wieder an der Dialyse und auf der Warteliste für ein neues Spendeorgan. Die Zeit im Spital während der Covid-Pandemie – ohne Besuche seiner Familie – belastete ihn sehr.

Roberts Zustand stabilisierte sich zwar, die Erschöpfung blieb. Robert war drei Tage die Woche an der Dialyse und in den Tagen dazwischen vollkommen schlapp. Da Robert so seine Kundinnen und Kunden auf der Arbeit nicht mehr betreuen konnte, verlor er seine Anstellung als Autoverkäufer.

Eine zweite Spende

Im Herbst 2021 bat seine Familie inständig gemeinsam in die Ferien fahren zu können. In den Jahren davor kam das aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in Frage. Robert liess sich zu einer Woche Tessin überzeugen. Es gab dort eine Dialysestation, von der er viel Gutes gehört hatte.

An einem Samstag fuhr die Familie voller Vorfreude ins Tessin. Noch in der gleichen Nacht klingelte das Telefon: Es gab eine Spendeniere für Robert. Nur wenige Stunden später fuhr Robert also die gleiche Strecke wieder zurück – dieses Mal alleine.

Ein Gefühlschaos, sagt er rückblickend. «Einerseits war da eine grosse Freude. Endlich passiert etwas. Andererseits die Zweifel, ob die Transplantation auch wirklich klappt.» Da Robert den Campingplatz in der Nacht beinahe fluchtartig verlassen musste, blieben seine Frau und Tochter zurück – im Ungewissen.

Robert
«Meine Krankheit, dass ich immer müde und antriebslos war, ging an unserer Partnerschaft nicht spurlos vorüber. Was meine Partnerin während dieser Zeit durchgemacht hat, die Zukunftsangst und all die Fragen dazu, wie es weiter geht. Das ist alles erst viel später hochgekommen, als die ganze Last abgefallen ist.»

Mitten in der Nacht trat Robert ins Spital ein, am gleichen Tag wurde er operiert. Ein Tag später kam er bereits auf sein Zimmer und noch in der gleichen Woche ging es nach Hause.

Kampf zurück in ein «normales» Leben

«Gesundheitlich geht es mir heute gut und es geht stetig weiter aufwärts. Mir fehlt es noch an Ausdauer und häufig fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren.» Auf regelmässigen Spaziergängen in den Bergen stärkt Robert seine Fitness. Auch der Weg zurück in die Arbeitswelt sei herausfordernd. Robert ist bei der IV, würde aber gerne eine Anstellung zu einem kleinen Pensum finden – bisher ohne Erfolg. «In der Zwischenzeit bin ich nun halt Tagelöhner,» Robert lacht «und unterstütze Freunde und Bekannte, wenn sie bei etwas Hilfe brauchen.»

Anderen Menschen zu helfen, scheint für Robert ein wichtiger Antrieb zu sein und genauso sieht er auch die Organspende: «Bei fast allem, was wir machen, braucht es in unserer Gesellschaft eine Gegenleistung. Die Organspende gehört nicht dazu. Das finde ich sehr schön. Ein solches Geschenk zu geben oder zu erhalten, ist keine Selbstverständlichkeit. Ich und meine Familie sind dafür sehr dankbar.»

Interview und Redaktion: Paula Steck