10 Fragen an PD Dr. Cédric Hirzel, Infektiologe am Inselspital

Vor Krankheitserregern ist niemand gefeit – das hat der Mediziner kürzlich am eigenen Leib erfahren. Er hilft Patientinnen und Patienten, sich optimal auf die Transplantation vorzubereiten und danach trotz ihres geschwächten Immunsystems gut durchs Leben zu kommen.

Herr Dr. Hirzel, was sind die Aufgaben eines Transplantations-Infektiologen?
Das Ziel unseres Teams ist die optimale Gestaltung der infektiologischen Versorgung von Organempfängerinnen und Organempfängern. Wir beraten sie zu möglichen Risiken und individuell sinnvollen Impfungen. Aufgrund des geschwächten Immunsystems kann es nach einer Transplantation gehäuft zu Infektionen mit unterschiedlichen Bakterien, Viren und Pilzen kommen. Deshalb stellt die Diagnostik, Therapie und Prävention von Infektionskrankheiten eine besondere Herausforderung dar.

Sie sprechen von Prävention – beginnt Ihre Arbeit schon vor der Transplantation?
Ja, unbedingt! Die Abklärungen starten, bevor die Patientinnen und Patienten auf die Warteliste für ein Spendeorgan kommen. Wir untersuchen, welche Infektionen in ihnen schlummern und nach einer Transplantation ausbrechen könnten. Das versuchen wir prophylaktisch zu behandeln, damit sie nicht zum Beispiel nach der Transplantation an Tuberkulose erkranken. Es ist nicht möglich, bereits vorhandene «schlummernde Infektionen» rückgängig zu machen, aber wir bereiten uns darauf vor, sie in Schach zu halten.

Bringen Menschen, die auf ein Spendeorgan angewiesen sind, besonders häufig infektiologische Vorgeschichten mit?
Nicht zwingend mehr als im Vergleich zur übrigen Bevölkerung. Beispielsweise finden wir immer wieder spezielle Würmer (Strongyloiden), die sich nach einer Transplantation vermehren könnten. Übrigens stellen wir dies in letzter Zeit gehäuft fest, wahrscheinlich wegen der höheren Temperaturen durch den Klimawandel. Im Hinblick auf eine Transplantation beziehungsweise die Aufnahme auf die Warteliste werden Patientinnen und Patienten ausführlich abgeklärt , es gibt eine Art Postenlauf mit Blutabklärung, Röntgenbildern, Laborwerten und so weiter. Diese Abklärungen können sich ein paar Wochen oder gar Monate hinziehen.

PD Dr. Cédric Hirzel
«Es ist nicht möglich, bereits vorhandene 'schlummernde Infektionen' rückgängig zu machen, aber wir bereiten uns darauf vor, sie in Schach zu halten.»

Warum ist eine Infektion nach einer Transplantation so heikel?
Das Spezielle ist, dass das Immunsystem nach einer Transplantation gedrosselt werden muss, damit das Spendeorgan nicht als Fremdkörper abgestossen wird – eine gewollte Immunschwäche. Meistens durchläuft man in der Kindheit zum Beispiel Spitze/Wilde Blattern (Windpocken), das Pfeiffersche Drüsenfieber (EBV) und anderes. Diese Viren bleiben ein Leben lang im Körper, man wird sie nicht mehr los – aber das Immunsystem kennt und kontrolliert sie. Bei einer transplantierten Person ist diese Kontrolle durch das geschwächte Immunsystem gestört, die Krankheit kann wieder ausbrechen. Zudem ist die Gefahr bei der Konfrontation mit neuen Viren gross, nicht genügend gewappnet zu sein.

Werden mit einem Spendeorgan Viren mittransplantiert?
Die medizinischen Abklärungen nehmen wir auch spendeseitig detailliert vor. Es wird mit grosser Sorgfalt geprüft, dass keine Krankheitserreger übertragen werden, gegen die nach einer Transplantation keine Therapiemöglichkeiten bestehen würden. Es kann aber durchaus sein, dass wissentlich Viren mittransplantiert werden, die die Organempfängerin oder der Organempfänger vorher noch nicht hatte. Das wäre, wie gesagt, normalerweise kein Problem, wenn das Immunsystem nicht gleichzeitig runtergefahren wäre. In diesen Fällen behandeln wir nicht erst, wenn die Patientin oder der Patient krank wird, sondern beugen mit Medikamenten gegen mittransplantierte Viren und Bakterien vor.

Gibt es «robustere» Organe und bleibt die Infektionsgefahr immer gleich hoch?
Tatsächlich ist die Lunge am anfälligsten auf Infektionen, da sie durch das Ein- und Ausatmen ständig der Umwelt ausgesetzt ist. Alle anderen Organe sind im Bauchraum oder Brustkorb etwas besser vor direkten Ausseneinflüssen geschützt. Unmittelbar nach der Transplantation ist die Infektionsgefahr am höchsten, aber natürlich auch das Abstossungsrisiko des Spendeorgans. Deshalb ist die Dosis der Immunsuppressiva am Anfang am höchsten, es unterdrückt das Immunsystem. Es gibt eine gewisse Erholung, der Körper lernt mit dem neuen Organ dazu. Die Häufigkeit der Infektionen nimmt mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Transplantation ab, die Immunsuppression kann schrittweise verringert werden – jedoch bleibt eine transplantierte Person lebenslang darauf angewiesen.

PD Dr. Cédric Hirzel
«Viren bleiben ein Leben lang im Körper, man wird sie nicht mehr los – aber das Immunsystem kennt und kontrolliert sie.»

Kommen wir zu Corona – wie hat das die Transplantationswelt beeinflusst?
Am Anfang der Pandemie wussten wir nicht, wie gefährlich das Virus ist. Wenn ein Virus völlig neu ist, daher noch kein Schutz aufgebaut ist und auf ein untrainiertes Immunsystem trifft, ist das immer ungünstig. Wir waren alle unglaublich überlastet, wussten nicht, wo wehren. Es war viel klinische und administrative Arbeit nötig, viel Wissenstransfer, denn wir wollten die Transplantationen nicht einfach stoppen, sondern so viele wie möglich ermöglichen, ohne die Empfängerinnen und Empfänger zu gefährden. Das war eine Herausforderung. Jetzt haben wir es im Griff.

Also braucht es auch keine Covid-Impfung mehr?
Doch, allen transplantierten Menschen und allen Patientinnen und Patienten auf der Warteliste empfehle ich eine weitere Booster-Impfung. Die Angehörigen müssen das nicht mehr unbedingt tun. Anders verhält es sich bei der Grippeimpfung: Ich empfehle sie nicht nur den Transplantierten, sondern lege sie ebenfalls allen Familienmitgliedern wärmstens ans Herz.

PD Dr. Cédric Hirzel
«Ich hoffe, dass erlaubt wird, Organe von HIV infizierten Organspenderinnen und Organspendern auch an nicht HIV-infizierte Patientinnen und Patienten zu transplantieren.»

Kann eine Infektion jeden treffen?
Oh, ja. Sogar mich hat kürzlich ein E. coli-Bakterium erwischt. Ich erlitt eine Blutvergiftung. Leider habe ich die Symptome zu lange auf die Begleiterscheinungen einer Impfung geschoben, die ich im Hinblick auf eine Hochzeitsfeier in Brasilien machte. Zum Glück konnte ich mich hier behandeln lassen, die Reise nach Südamerika fiel ins Wasser.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?
Wir müssen noch besser werden in der individuellen Dosierung der Immunsuppressiva und Medikamente gegen Viren – da stecken wir noch in den Kinderschuhen. Weiter hoffe ich, dass wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen so anpassen können, dass es erlaubt wird, Organe von HIV infizierten Organspenderinnen und Organspendern auch an nicht HIV infizierte Patientinnen und Patienten zu transplantieren. HIV ist zwar noch stigmatisiert, aber es lässt sich mit 1 Tablette pro Tag gut kontrollieren. Das gleiche gilt für Hepatitis B und C. Wenn ich die Wahl habe, zu sterben oder täglich 1 Tablette mehr zu nehmen, fällt die Antwort bei den meisten Betroffenen auf zweiteres. Zur Umsetzung dieser Idee – geboren durch die Organknappheit – muss es gelingen, alle Akteure der Transplantationsmedizin ins Boot zu holen. Wir hoffen, dass wir in zwei Jahren soweit sind. Denn wir sind froh um jede zusätzliche Organspende.

PD Dr. med. Cédric Hirzel

ist Oberarzt I an der Universitätsklinik für Infektiologie in Bern. Er arbeitet seit rund 10 Jahren im Inselspital – unterbrochen von einem knapp 3- jährigen Aufenthalt im kanadischen Toronto; während der Coronapandemie war er in der Schweiz. Der 42-Jährige leitet die Sprechstunde für Immunsupprimierte am Inselspital und ist Präsident der Arbeitsgruppe Infektiologie (STAI) von Swisstransplant.

Neben seiner klinischen Tätigkeit beschäftigt sich Cédric Hirzel vor allem mit epidemiologischer und translationaler Forschung im Gebiet der Transplantations-Infektiologie. Dies erfolgt in enger Zusammenarbeit mit der vor 15 Jahren gestarteten Swiss Transplant Cohort Study, an der sich über 90 % aller Transplantierten in der Schweiz beteiligen. Durch die mit der Transplantation verbundenen Immunschwäche sind Infektionskrankheiten nach wie vor ein schwerwiegendes Gesundheitsproblem für Organempfängerinnen und Organempfänger.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt sind virale Infektionen bei immungeschwächten Patientinnen und Patienten.

Seine Freizeit verbringt der Berner gerne auf seinem Pferd Emerald.