10 Fragen an Prof. Christoph Haberthür, abtretender Vizepräsident des Stiftungsrats Swisstransplant

Der Intensivmediziner tritt nächstes Jahr nach einer bewegenden Laufbahn in Pension. Im Mittelpunkt seines Denkens und Handelns stand immer das Wohl der Patientinnen und Patienten. Seine Offenheit im Interview ist beeindruckend.


Prof. Christoph Haberthür

Professor Christoph Haberthür war von 2016 bis 2022 Vizepräsident des Stiftungsrats von Swisstransplant.

Herr Prof. Haberthür, wie erklären Sie einem 10-jährigen Kind, was Ihr Beruf ist?
Es gibt Menschen, die schwer krank sind oder einen Unfall hatten. Wenn sie besonders schwer krank sind oder einen besonders schweren Unfall hatten, kommen sie zu mir auf die Intensivstation. Mit einem Team überwache ich täglich 20 bis 30 Patienten intensiv, wir haben viele Apparate und geben Medikamente. Manchmal fällt ein Organ aus und wir müssen schauen, dass dieser Mensch weiterlebt. Wenn jemand stirbt, ist es meine Aufgabe an die Organspende zu denken.

Wie oft führen Sie Angehörigengespräche in Zusammenhang mit einer möglichen Organspende?
In der Klinik Hirslanden haben wir mehrheitlich Wahleingriffe. Das heisst, wir haben deutlich weniger Patientinnen und Patienten mit einem Schlaganfall, einer Hirnblutung oder einem Schädel-Hirn-Trauma als ein öffentliches Spital. Diese medizinischen Notfälle führen oft zu schweren Hirnschädigungen. Wir versuchen, die Menschen am Leben zu erhalten. Manchmal ist das leider aussichtslos oder es ist erkennbar, dass ein Weiterleben nur mit massivsten Einschränkungen der Lebensqualität möglich wäre. Dann beschliessen wir zusammen mit den Angehörigen – im besten Fall aufgrund einer Patientenverfügung – die Therapie zu beenden. Erst dann wird eine Organspende ein Thema, die ich mit den Angehörigen bespreche. Das kommt ungefähr vier bis sechs Mal pro Jahr vor.

Sie waren neun Jahre Mitglied des Stiftungsrats von Swisstransplant. Was waren die prägendsten Momente?
Die Lancierung des Nationalen Organspenderegisters war eindrücklich – auch wenn wir es jetzt einstellen mussten. Der Systemwechsel zur Widerspruchslösung und die damit verbundenen intensiven Diskussionen möchte ich als zweiten Punkt nennen. Und Menschen, die sich für die Organspende engagieren und Projekte wie zum Beispiel das Sportcamp Tackers auf die Beine stellen, das imponiert mir sehr.

Prof. Christoph Haberthür
«Menschen, die sich für die Organspende engagieren und Projekte wie zum Beispiel das Sportcamp Tackers auf die Beine stellen, das imponiert mir sehr.»

Haben Sie sich für die erweiterte Widerspruchslösung eingesetzt?
Ich war lange skeptisch, bis ich überzeugt war. Im Pro-Komitee war meine Message «Geh abstimmen, egal welche Meinung du hast.»

Und welches Argument hat Sie überzeugt?
Für diejenigen, die für sich Ja oder Nein zur Organspende sagen, ändert sich mit der erweiterten Widerspruchslösung nichts. Aber wenn der Wille nicht bekannt ist und die Angehörigen entscheiden müssen, bringt die neue Lösung eine wesentliche Erleichterung. Für mich als Arzt ist es einfacher, im Gespräch mit den Angehörigen zu fragen: «Wissen Sie, ob sich Ihre Nächste oder Ihr Nächster gegen eine Organspende geäussert hat?» Das ist eine grosse Entlastung für die Angehörigen.

Prof. Christoph Haberthür
«Wenn der Wille nicht bekannt ist und die Angehörigen entscheiden müssen, bringt die neue Lösung eine wesentliche Erleichterung.»

Welches persönliche Ereignis im Zusammenhang mit einer Transplantation werden Sie nie vergessen?
Jedes Gespräch mit den Angehörigenfamilien ist anders und berührend. Sehr berührend sind auch Dankesbriefe, die Organempfangende der Spendefamilie in anonymisierter Form zukommen lassen. Als schwierig bleibt mir in Erinnerung, dass sich eine Mutter nicht durchringen konnte, ihren 30-jährigen Sohn zur Organspende freizugeben, obwohl sie selbst transplantiert war. Nicht ihr Entscheid beschäftigt mich noch heute, sondern dass ich in meiner Kommunikation ungeschickt war: Sie gab nachher die Rückmeldung, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlte. Das wollte ich nicht, ich wollte ihr die Freiheit lassen. Das ist mir offenbar nicht gelungen. Sie hat wirklich mit dem Entscheid gerungen! Es ist für mich nachvollziehbar, wenn jemand die Organspende ablehnt, auch eine transplantierte Person.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Die Fortschritte in der Medizin sind fantastisch. Wir sind auf dem Weg zu einer spezialisierten und individualisierten Therapie. Allerdings hoffe ich, dass unser Gesundheitssystem im Grossen und Ganzen für alle bezahlbar bleibt. Es darf nicht zu einer Zweiklassengesellschaft kommen.

Prof. Christoph Haberthür
«Wir Ärzte sind vom Sockel runtergekommen – ich finde es jetzt viel angenehmer.»

Sind die Patientinnen und Patienten anspruchsvoller geworden?
Sie sind besser informiert. Man muss ihnen auf Augenhöhe begegnen, diskutieren, auch die Schattenseiten erwähnen. Sie verstehen es. Wir Ärzte sind vom Sockel runtergekommen – ich finde es jetzt viel angenehmer. Was ich als Nachteil empfinde, ist die Dokumentationswut, ausgelöst durch Gesetzgeber und Krankenkassen. Administrative Arbeiten machen heute den grösseren Teil unserer Arbeit aus. Als ich angefangen habe, genügte ein Dreizeiler mit der Schreibmaschine (lacht).

Bald ist Weihnachten – wie feiern Sie?
Es gibt zwei Familienfeste bei uns Zuhause. Einmal zusammen mit meinem seit der Geburt geistig behinderten Bruder und meiner Schwester die aus Berlin anreist. Und ein zweites Mal mit den beiden Söhnen und den zwei Enkelkindern.

Und wer kocht?
Meine Frau und ich kochen immer gemeinsam. Bereits ab September wälzen wir Kochbücher und hecken Rezepte aus.