«Dank einer Corneatransplantation bin ich heute nicht blind»

Im Urlaub, im Swimmingpool: Ein Schimmelpilz nistet sich unter den Kontaktlinsen von Carol Campell-Smith ein und infiziert beide Augenhornhäute (Corneae). Nach einer wirkungslosen medikamentösen Therapie rettet eine Corneatransplantation in letzter Minute die Sehkraft ihres linken Auges – das rechte wird blind. Die Genferin hofft, dass sich in Zukunft mehr Menschen aktiv dafür aussprechen, nach ihrem Tod ihre Augenhornhaut zu spenden.

Wenn die Lichtverhältnisse gut sind, kann Carol Campell-Smith eine kurze Strecke auf bekanntem Terrain wieder mit dem Auto zurücklegen. Im Dunkeln ist es ihr unwohl, Distanzen kann sie nicht mehr korrekt einschätzen. Beim Einkaufen geht die 53-Jährige am liebsten immer ins gleiche Migros, wo sie genau weiss, was wo ist. Die Sehkraft ihres linken Auges beträgt mit Korrektur noch 60%, ohne nur 20 %. Auf dem rechten ist sie blind.

Verlorener Koffer, verlorenes Augenlicht
Vor elf Jahren geniesst Carol mit ihrer Familie ein paar Ferientage in Zypern. Im Swimmingpool überträgt sich ein Schimmelpilz auf ihre Kontaktlinsen, und zwar gleich auf beide, was sehr selten vorkommt. Wäre ihr Koffer bei der Flugreise nicht abhandengekommen, hätte sie sich nicht in der Apotheke ein Ersatzprodukt für die Linsenreinigung besorgen müssen. Ein Produkt, das wohl zu lange der Hitze und Sonne ausgesetzt war und nicht mehr einwandfrei desinfiziert. Beide Augenhornhäute werden durch die kontaminierten Kontaktlinsen mit dem Schimmelpilz infiziert. «Wieder zuhause hatte ich unerträgliche stechende Augenschmerzen», erinnert sich Carol.

Carol Campell-Smith
«Viele denken leider nicht daran, dass sie oder ihre Kinder eines Tages selbst auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen sein könnten.»

Transplantation in letzter Minute
Die Ärzte tippen erst auf Herpes und andere Infektionen. Es folgen belastende medikamentöse Therapien, die ihr Ziel verfehlen. Die Sehkraft des rechten Auges geht verloren. Fast drei Monate verbringt Carol insgesamt in der Augenklinik in Lausanne. Nach der finalen Diagnose «Fusarium solani» ist der einzige Weg zur Rettung ihres linken Auges eine Hornhauttransplantation. «Im letztmöglichen Moment kam es zur Operation», so Carol, «und nur dadurch kann ich heute ein weitgehend normales Leben führen.»

Zurückkämpfen ins Leben
Aufgewachsen ist Carol – Mutter Schweizerin, Vater Grieche – in den USA, Marokko und Belgien. Im Wirtschaftsstudium in Genf lernt sie als 18-Jährige ihren Mann Drew kennen, der ebenfalls aus einer Expatfamilie stammt. Sie gründen später eine Familie, leben ein gutes Leben mit Hund und Haus. «Für meine Töchter, damals 11 und 14, war es sehr hart, dass ich so lange im Spital lag und eingeschränkt war. Es war auch für mich nicht lustig, vor allem die Ungewissheit über die Zukunft …» Doch Carol kämpft sich Schritt für Schritt ins Leben zurück. Ihre Eltern und Nachbarn helfen, leisten Taxidienste, begleiten sie zum Schwimmen im nahen Genfersee. «Ich musste Vertrauen gewinnen, um meine Selbständigkeit wieder zu erlangen. Ich habe gelernt, die Dinge auf andere Weise zu tun.» Ihren damaligen 70-%-Job als Redaktorin bei einem internationalen Konsumgüterkonzern muss sie auf ein kleineres Pensum reduzieren, dass sie weiterarbeiten kann, schätzt sie jedoch sehr.

Carol Campell-Smith
«Es ist schockierend, dass wir zu wenig Corneae haben. Wir müssen das unbedingt ändern.»

Appell für mehr Spenden
Carol fühlt sich trotz der Einschränkung nicht behindert und will im Arbeitsprozess bleiben. «Ich bin sehr dankbar für die restliche Sehkraft.» Früher hat ihr der Begriff Corneatransplantation nichts gesagt. Sie besass keinen Organspendeausweis. «Heute sehe ich das definitiv mit ganz anderen Augen. Es ist schockierend, dass wir zu wenig Corneae haben. Wir müssen das unbedingt ändern. Viele denken leider nicht daran, dass sie selbst oder ihre Kinder eines Tages auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen sein könnten.»

«Man sieht nicht mit den Augen, sondern mit dem Hirn», ist die 53-jährige Carol überzeugt. Nach der Augenhornhauttransplantation ist ihr das Gehör ebenfalls sehr wichtig – etwa beim Ping-Pong-Spielen.

Man sieht nicht mit den Augen, sondern mit dem Hirn.

Wer kann spenden?
Die Cornea stammt ausschliesslich von spendenden verstorbenen Personen. Alle im Alter zwischen 16 und 90 Jahren, die gesunde Augen haben und frei von übertragbaren Krankheiten sind, können ihre Cornea spenden. Auch Personen, die fehlsichtig sind oder bereits eine Kataraktoperation (Grauer Star) hinter sich haben. Dagegen kann eine vorangegangene laserkorrigierte Fehlsichtigkeit zum Ausschluss einer Spende führen. Da eine Spenderin oder ein Spender über zwei Augen verfügt, ermöglicht eine Corneaspende gleich zwei Menschen, nach einer Transplantation erneut zu sehen.

Wie wird man Spenderin oder Spender?
Gleich wie bei der Organspende muss bei der Gewebespende das Einverständnis der verstorbenen Person schriftlich vorliegen oder die Angehörigen müssen den mutmasslichen Spendewillen bestätigen. Deshalb sollte bei einem Gespräch über Organspende immer auch die Frage nach der Corneaspende gestellt werden.

Wie erfolgt eine Spende?
Weil sie nicht durchblutet ist, muss die Cornea nicht unmittelbar nach dem Tod im Operationssaal entnommen werden. Der Eingriff kann bis zu 2 Tage später erfolgen. Nach der Entnahme werden Prothesen eingesetzt und die Augenlider verschlossen, so dass der verstorbenen Person nichts anzusehen ist.

Dr. med. Horace Massa

MD, MSc, FEBO, Leitender Arzt, Klinik für Ophthalmologie,
Universitätsspital Genf (HUG)


Wann braucht es eine Corneatransplantation?
Hitze, ätzende Flüssigkeiten, Fremdkörper oder Infektionen können die Cornea verletzen und ihre Schutzfunktion und Transparenz beeinträchtigen. Auch Gewebeschwächen und degenerative Krankheiten können die Cornea verformen und von innen her schädigen. Fällt ihre Funktion vollständig aus, hilft nur die Transplantation einer gesunden menschlichen Cornea. Diese kann Patienten und Patienten vor der Erblindung bewahren.

Wie ist die Dringlichkeit von Corneatransplantationen?
In der Regel kann man einige Monate auf ein Transplantat warten. In Notfällen wie einem Trauma oder einer Augeninfektion braucht es jedoch innerhalb von 24 Stunden eine Hornhauttransplantation – manchmal sogar innerhalb von 6 Stunden, wenn die Hornhaut perforiert ist.


Was ist Ihr Wunsch für die Entwicklung in den nächsten 5 bis 10Jahre?
Die Erfolgsrate bei diesem medizinischen Eingriff ist bei gewissen Indikationen mit über 90 % bereits sehr hoch. Die Qualität der Transplantate ist dabei entscheidend, um einen langandauernden Erfolg zu erzielen. Ich möchte in Zusammenarbeit mit Swisstransplant die Qualität noch höher bringen, damit wir möglichst vielen Patientinnen und Patienten helfen können.

Cornea – das Fenster des Auges

Die durchsichtige, leicht gewölbte Cornea funktioniert wie ein Fenster, das Licht ins Augeninnere hineinlässt und auf der Netzhaut ein Abbild der Umwelt entwirft. Die Cornea steuert zwei Drittel der Lichtbrechkraft des Sehapparats und schützt vor äusseren Einflüssen wie Schmutz, Wind und Regen. Durch Hornhauterkrankungen, Infektionen oder Unfällen kann die Cornea trübe werden, was zum Sehverlust führt. Dank einer Corneatransplantation kann das Sehen wieder ermöglicht werden. Die Corneatransplantation ist der häufigste und erfolgreichste Eingriff in der Transplantationsmedizin. In der Schweiz gibt es sie seit 1906. Mittlerweile werden in der Schweiz jährlich rund 900 Operationen durchgeführt.

 

Aufbau der Cornea (Augenhornhaut)

Die rund einen halben Millimeter dünne Cornea besteht aus fünf Schichten, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Die ganze Cornea oder einzelne Schichten können von einer Erkrankung betroffen werden.

Dr. med. Frank Blaser

Dipl. Ing. ETH; FMH für Ophthalmologie, spez. Ophthalmochirurgie, FEBO; Oberarzt meV, Leiter der Hornhautabteilung und der Hornhautbank an der Augenklinik des Universitätsspitals Zürich

Warum braucht es in der Schweiz immer mehr Corneaspenden?
Die absolute Zahl der durchgeführten Hornhauttransplantationen nimmt allein schon aus demografischen Gründen zu. Einerseits ist die Bevölkerungszahl der Schweiz im Wachsen begriffen, anderseits nimmt die Lebenserwartung der Bevölkerung zu. Letztere erhöht die Wahrscheinlichkeit eine Krankheit zu entwickeln, die eine Hornhauttransplantation notwendig macht, da viele dieser Erkrankungen mit dem Alter zunehmen. Ein weiterer Grund für die Zunahme des Bedarfs an Corneaspenden liegt im medizinischen Fortschritt der Transplantationstechnik, sodass gewisse Erkrankungen der Hornhaut heute erst mittels einer Hornhauttransplantation behandelt werden können. Zudem werden in der Schweiz seit längerem mehr als die Hälfte der transplantierten Hornhäute aus dem Ausland importiert, was selbstredend einer Balance zwischen Geben und Nehmen im internationalen Rahmen widerspricht und ethisch nicht haltbar ist. Um diesem Zustand entgegentreten zu können, bedarf es ebenfalls mehr Corneaspenden in der Schweiz.

Weshalb gibt es zu wenig Corneaspenden?
Viele verstorbene Personen kommen für die Corneaspende nicht in Betracht, weil entweder kein Spende-Ausweis vorhanden oder der mutmassliche Wille den Angehörigen nicht bekannt ist. Zudem muss auch ein nicht unerheblicher Anteil der entnommenen Hornhäute von einer Transplantation ausgeschlossen werden, weil entsprechende medizinische Kontraindikationen bestehen. Dazu gehören unter anderem mikrobielle Kontaminationen, erst feststellbar in der Gewebekultur, sowie unzureichende Zelldichten des entnommenen Hornhautgewebes, die nur in der mikroskopischen Analyse im Labor und nicht bereits an der verstorbenen Person festgestellt werden können.

Was braucht es, damit mehr Spenderinnen und Spender zur Verfügung stehen?
Es bedarf einer breiteren Sensibilisierung der Bevölkerung, dass nicht nur Organe transplantiert werden können, sondern auch Gewebe, wozu die Hornhäute zählen. Damit über den Willen der verstorbenen Person betreffend der Hornhautspende Klarheit besteht, wäre es wünschenswert, wenn dieser entweder im Spende-Ausweis oder im Nationalen Organspenderegister vermerkt wäre oder wenn Angehörige über diesen zu Lebzeiten aufgeklärt würden – denn bei unklarem mutmasslichem Willen müssen Angehörige von der Zustimmung zur Corneaspende absehen. Des Weiteren soll der Kreis der potenziellen Spenderinnen und Spender vergrössert werden, indem das Netzwerk der Kliniken erweitert wird, die in der Corneaspende aktiv sind. Beispielsweise nimmt ein entsprechendes Projekt mit dem Kantonsspital Winterthur derzeit Gestalt an, sodass künftig auch Hornhautspenden aus Winterthur in der Hornhautbank des Universitätsspitals Zürich aufbereitet werden können.

Die Corneaspende zählt zu den Gewebespenden, die sich häufig einfacher als Organe transplantieren lassen: Da die Cornea nicht durchblutet ist, ist die Gefahr einer Abstossung und weiterer Komplikationen tendenziell geringer als bei Organen.

Anzahl Cornea-Transplantationen