10 Fragen an Dr. Marco Rusca, Netzwerkleiter Organspende

Dr. Marco Rusca leitet das Organspendenetzwerk PLDO der lateinischen Schweiz, eines der 5 Organspendenetzwerke der Schweiz. Er engagiert sich unter anderem in der Ausbildung des Spitalpersonals. Transparenz und Kommunikation sind aus seiner Sicht zentrale Punkte für die Vereinheitlichung des Organspendeprozesses. Er plädiert dafür, dass die philosophische, ethische und religiöse Diskussion zur Organspende offen geführt wird.

Für den Intensivmediziner Marco Rusca stehen die Patientinnen und Patienten am Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) im Fokus.

Herr Dr. Rusca, warum sind Sie Arzt geworden?
Ich habe mich mit 18 Jahren für ein Medizinstudium entschieden, da ich «im sozialen Bereich» arbeiten wollte, und ich dachte mir, dass mir dies auf diesem Weg am besten gelingen würde. Während meines Praktikumsjahrs entdeckte ich dann die Intensivmedizin. Im weiteren Verlauf meiner Karriere wurde aus der Entdeckung eine Leidenschaft, die mich bis heute begleitet.

In welchem Bereich der Organspende sind Sie tätig?
Ich setze mich nicht in erster Linie für die Erhöhung der Spendezahlen in der Westschweiz ein, sondern vielmehr für die Sensibilisierung des Spitalpersonals in Bezug auf die Organspende. Ich bin im Bereich der medizinischen Ausbildung in meinem Team und auch anderen Abteilungen des Spitals tätig.

Sie unterstützen die Spitäler, die Prozesse bei der Organspende einheitlich zu gestalten. Welches sind die grössten Herausforderungen?
Transparenz und Kommunikation sind der Schlüssel zur Vereinheitlichung von Organspendeverfahren. Alle Themen rund um die Organspende betreffen Menschen, die direkt oder indirekt mit dieser zu tun haben. Meiner Meinung nach gibt Swisstransplant allen an der Organspende beteiligten Akteuren die Möglichkeit, sich zu äussern und ihre Erfahrungen in diesem Bereich, der sehr emotional und belastend sein kann, zu teilen. Die Erstellung allgemeiner Behandlungsprotokolle und der Austausch von Erfahrungen sind die Basis für eine Vereinheitlichung des Spendeprozesses in der Schweiz.

Stellen Sie regionale oder kulturelle Unterschiede fest?
Zu kulturellen und sprachlichen Unterschieden kann ich keine fundierte Aussage treffen, da ich nur in der französischsprachigen Schweiz gearbeitet habe. Im Austausch mit den anderen 4 Netzwerkleitenden in der Schweiz stelle ich jedoch klar fest, dass es Unterschiede gibt und dass sie berücksichtigt werden müssen. Innerhalb der Stiftung Swisstransplant stossen wir auf genau die gleichen Herausforderungen wie auf nationaler politischer Ebene. Wir arbeiten daran, dass diese kulturellen Unterschiede zu Vorteilen und nicht zu Hindernissen für die Entwicklung der Organspende Schweiz werden.

Was liegt Ihnen besonders am Herzen bei den Gesprächen mit den Angehörigen?
Bei der täglichen Arbeit in der Intensivpflege sind die Gespräche mit den Angehörigen von zentraler Bedeutung für die Betreuung der Patienten und für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen den Angehörigen und dem Pflegepersonal. Ich lege grossen Wert auf die Qualität der Gespräche mit Angehörigen und halte es für wichtig, dass das Besprochene von ihnen wirklich verstanden wird. Gespräche zum Thema Organspende erfordern besondere Kenntnisse seitens des Pflegeteams, das für die Koordinierung von Spenden und Entnahmen zuständig ist.

Dr. Marco Rusca
«Ich lege grossen Wert auf die Qualität der Gespräche mit Angehörigen und halte es für wichtig, dass das Besprochene von ihnen wirklich verstanden wird.»

Wann sind Sie mit einem Angehörigengespräch zufrieden?
Ich bin zufrieden, wenn wir die Möglichkeit haben, die Wünsche der Patientin oder des Patienten zu erfahren, und wenn medizinische Entscheidungen nicht zu einer Belastung für die Angehörigen werden.

Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Zunächst benötigte die Entwicklung der Organspende nach Herz-Kreislauf-Stillstand eine logistische Umstrukturierung und neue Kompetenzen. Die Zahl dieser sogenannten DCD-Spenden wird in Zukunft sicherlich steigen und es wird neue Herausforderungen geben. Dann hat sich die Spende und die Entnahme von Augenhornhäuten in den letzten Jahren stark weiterentwickelt und es besteht der grosse Wunsch, diese Entwicklung fortzusetzen. Der dritte Punkt betrifft die Bevölkerung, die heute besser über Organspenden informiert ist als noch vor 20 Jahren.

Ihr Interesse gilt unter anderem der Echokardiographie* auf der Intensivstation. Welche Schnittstellen gibt es zur Organspende?
Das POCUS-Echokardiogramm (Point-of-Care-Ultra-Sonographie) wird in der Intensivpflege zunehmend eingesetzt. Im Bereich der Organspende wird das Echokardiogramm bei der Organspende nach Herz-Kreislauf-Stillstand eingesetzt, um das Ende der Herztätigkeit festzustellen. Bei der hämodynamischen Behandlung von Patienten, die den Hirntod erleiden, hilft uns das Echokardiogramm bei der Bestimmung des Blutvolumens und des Herzzeitvolumens, um die Organdurchblutung zu optimieren.

Wie stark hat die Coronapandemie die Organspende im Spitalalltag tangiert?
Sie hatte Auswirkungen auf das Spendenprogramm in der Westschweiz: Die Teams zur Spendenkoordination wurden auf den Intensivstationen eingesetzt und übergangsweise wurde die Organspende nach Herz-Kreislauf-Stillstand ausgesetzt. Trotzdem konnten die Tätigkeiten im Bereich Erkennung und Entnahme im Jahr 2020 und im ersten Jahresabschnitt 2021 dank der bemerkenswerten Arbeit der Koordinationsteams, die zeitweise drastisch verkleinert worden waren, aufrechterhalten werden.

Welchen Wunsch haben Sie im Zusammenhang mit der Organspende?
Ich wünsche mir, dass die philosophische, ethische und religiöse Debatte über die Organspende nicht abreisst und dass wir weiter darüber diskutieren können. Ich hoffe auch, dass die meisten Personen in der Lage sein werden, ihre eigenen Wünsche in Bezug auf die Organspende zu äussern, sodass ihren Angehörigen die Last einer Entscheidung abgenommen wird, die sie letztendlich nicht zu treffen haben.

* Die Echokardiographie ist eine Ultraschalluntersuchung des Herzens. Die Untersuchung gibt Aufschluss darüber, wie die einzelnen Strukturen des Herzens aussehen und wie sie funktionieren. Mit der Echokardiographie lassen sich zum Beispiel veränderte Bewegungen der Herzwand feststellen, die auf einen früheren Herzinfarkt hinweisen. Auch die Funktion der Herzklappen und der Blutfluss im Herzen können mit Echokardiographie gut untersucht werden.

Dr. med. Marco Rusca leitet seit Januar 2021 das «Programme Latin de Don d’Organes» (PLDO). Es umfasst 16 Spitäler aus den sieben Kantonen Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Tessin, Waadt und Wallis. Die Hauptaufgabe des PLDO besteht darin, die Partnerspitäler bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit Organ- und Gewebespenden zu unterstützen. Der 50-Jährige arbeitet seit 2018 als leitender Arzt auf der Intensivmedizin am Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV). Dr. Rusca ist zusätzlich Leiter der Ausbildung für POCUS-Echokardiographie* auf der Intensivstation des CHUV.

Marco Rusca ist verheiratet, Vater von drei Kindern, lebt in Sion und frönt als Hobby dem Bergwandern und dem klassischen Tanz.